09.06.2017
12 Monate sind vergangen, seit Sizilien und der Ätna bzw. das Wetter dort uns einen empfindlichen Denkzettel verpasst haben. Noch immer, wenn ich die Fotos dieses Tages betrachte, erwachen in mir diese Beklemmung und Aussichtslosigkeit wie an jenem Tage, als keine Biene mehr flog.
Guter Dinge waren wir, als wir zum Rifugio Sapienza aufbrachen. Soweit erkennbar, kein aufregender Wetter-Tag. Eine App hatte zwar Schnee für den Gipfel gemeldet, aber dieses Zeichen konnten wir nicht deuten. So wanderten wir Richtung Schiena dell`Asino. Eine dürre Baumlandschaft durchquerten wir, durchliefen eine karge Ebene bedeckt mit Gräsern und Flechten. Am Rand des Valle del Bove sahen wir die Messstation des INGV und Wolken, die scheinbar regungslos am Boden des Tales lagen.
Wir kamen in etwa noch 300m, dann änderte sich das Wetter zusehends. Innerhalb weniger Minuten konnten wir kaum noch 20m weit sehen. Erst dachten wir, es zieht einfach eine Wolke herüber, aber das war ein Trugschluss. Noch in diesem Glauben aßen wir einen kleinen Happen. Wir hatten uns dafür jedoch schon in die einzigen Senke, die es dort gab, zurückgezogen. Auch ein Stück Felsen stand dort herum, den wir instinktiv in unser Handeln einbezogen.
Die ersten Tropfen begannen zu fallen und wir überlegten noch, ob wir abbrechen oder abwarten sollten. Es war der letzte Tag auf Sizilien und wir hatten es diesmal nicht zum Gipfel geschafft. So überlegten wir hin und her bis sich in diese Überlegerei ein dumpfes Donnergrollen mischte. Dieses zutiefst beklemmende Gefühl jenes unheilvollen Augenblicks wird mich nicht mehr loslassen. Schlagartig war uns bewusst, dass wir in einer ganz schlimmen Situation steckten. Ein Gewitter war in unmittelbarer Nähe, wir wussten nur nicht, woher es kommt. Vorher sind wir 3km über freie Fläche gelaufen, zurück ging also nicht mehr. Weiter gehen konnten wir auch nicht, wir kannten das Gelände nicht. Ein Albtraum begann Realität zu werden. Und das, obwohl wir doch immer um- und vorsichtig zu Werke gehen, umsichtig sind und nicht direkt das größte Risiko suchen. Die Tropfen wurden dichter und wir kauerten uns hinter den Felsen und hofften auf Wetterbesserung. Immer wieder wagte ich einen Blick und hoffte darauf, dass es von der Meerseite kommen würde und am Berg abregnete und nicht zu uns käme. Allerlei Gedanken waren dabei, so flog erst noch ein Vogel, dann noch eine Biene und meine Gedanken dahinter waren: „… wenn noch ein Vogel oder eine Biene fliegt, ist alles ok …“. Doch dann waren auch Vogel und Biene fort. Es war still und wir waren allein. Das Donnergrollen wurde immer häufiger und deutlicher – eine tiefe Angst breitete sich in uns aus, drang in jede Faser, jeden Winkel. Unser letzte Strohhalm war der Reiseführer, dort stand die Nummer der Bergrettung drin. Die Nummer errichten wir und versuchten, aus einer Mischung aus deutsch, englisch und Verzweiflung mitzuteilen, wo wir waren. Die Verbindung brach ab und dann waren wir wirklich allein. Keine Hoffnung. Nichts mehr – nichts mehr was wir noch hätten tun können. So hofften wir darauf, alles richtig gemacht zu haben und lebend dort raus zu kommen.
Es spielt sich alles in Minuten ab, aber dann, wenn es losgegangen ist, dann dauert es. Gefühlt eine Ewigkeit, nach Zeitmessung etwa 2 Stunden kauerten wir inmitten von Regen, Hagel, Blitz und Donner, wie ich ihn bis dahin noch nie gehört hatte. Trotz der Kapuze und geschlossener Augen war es durch die Lider taghell und ohrenbetäubend, wenn es zeitgleich blitzte und donnerte – grauenvoll. Unser Berg, unser Ätna, in den wir uns verkiekt haben, unsere Entdeckung Sizilien – sollte es das schon gewesen sein?
Einmal wurden die Wolken etwas heller, die Niederschläge setzten kurz aus – nur für Sekunden – dann begann das Unwetter scheinbar von vorn. Dunkles Grau umhüllte uns, bei jedem Blitz zuckten wir zusammen und wir bibberten, da die Temperatur innerhalb kurzer Zeit stark gefallen war und wir trotz guter Ausrüstung irgendwann nass bis unter den Schlüppi waren und begannen, auszukühlen. So verging abermals geraume Zeit.
Irgendwann wurde es doch wieder heller und aus der Ferne vernahmen wir eine Art Sirene. Noch immer zuckten Blitze um uns herum, aber der Mix aus Regen Eis und Schnee lies merklich nach. Wir hörten wieder diese Sirene, konnten aber nicht antworten bzw. uns bemerkbar machen. Da klingelte das Telefon. Die Gewitterzelle schien soweit weg zu sein, dass das Telefon wieder Empfang hatte. Es klingelte. Es waren die Retter der Bergwacht. Sie fragten uns kurz, ob wir ok seien und ermahnten uns, dort zu bleiben, wo wir sind. Bei einem der Blicke hinter dem Felsen hervor bewegte sich etwas. Ein Mann, da kam ein Mann den Weg herauf, den wir zuvor gegangen waren. Ich wollte winken, aber ein Blitz ließ mich wieder zusammen zucken. Angelo, so heißt unser Retter, kam bis zu uns an den Felsen hinauf, überprüfte mit musterndem Blick unsere Konstitution und forderte uns dann auf, ihm sehr rasch zu folgen.
Wir rannten den Berg hinab, quer vom Weg entfernt über die Gräser und Flechten. Auf der einen Seite zog das Gewitter von eben davon, blitzte eindrucksvoll aus den Wolken bis auf Meereshöhe hinunter. Auf der anderen Siete entstand ein neues Gewitter, da sich genau an dem Grat, an dem wir wandern wollten, eine Warm- und eine Kaltfront getroffen haben. Eile war geboten, wir rannten Angelo hinterher.
Wir erreichten gemeinsam den Pickup, warfen unsere Rucksäcke auf die Ladefläche und huschten ins Innere des Wagens – in Sicherheit …